Vietnamesische Lackmalerei – ”Sơn Mài Bức Tranh”
Junge Kunst – alte Technik
Die vietnamesische Lackmalerei (”son mài”) ist ein junges Kunsthandwerk. Sie entstand in den 1930er Jahren unter dem Einfluss der ”Ecole des Beaux Arts” in Hanoi; diese wurde von französischen Künstlern gegründet, die sich an der modernen westlichen Kunst orientierten. Die Lackkunst ist jedoch eine sehr alte Kunst, die in China und Persien 8000 Jahre zurückgeht. Die Art von farbigem und poliertem Lack, die heute eingesetzt wird, basiert auf dem milchigen Saft des Lackbaums, der bereits vor 3500 Jahren in China entdeckt wurde. Im Laufe der Jahrhunderte gelangte dieses faszinierende Material in alle Länder Asiens und sogar nach Europa.
Vom Kunsthandwerk zur Dekoration und zur Kunst
Der Gebrauch von Lackmaterialien ist aus dem praktischen Gebrauch von Lackwaren hervorgegangen. Aufgrund seiner unglaublichen Funktionalität und seiner spezifischen Eigenschaften (wasserfest, widerstandsfähig, hitzebeständig und schützend) wird Lack bei Dekorationen für religiöse Zwecke oder bei Verzierungen in der Architektur verwendet, wobei die Leuchtkraft und Schönheit dieses Materials zum Tragen kommt.
Spezialisten und Kenner der Geheimnisse der Kunst der Lackmalerei forschten ständig weiter, sie experimentierten mit neuen Verfahren und kombinierten diese mit den alten Traditionen. Aus der anspruchsvollen, aber rein praktischen Verwendung zur Verschönerung ergab sich als nächster logischer Schritt, Lackmalereien auf Holz zu erschaffen und sie mit Neuerungen der westlichen Kunst (Naturgesetze, Perspektive, Formen und Figuren) zu kombinieren. Dies geschah in Vietnam in den 1930er Jahren.
Lack in Vietnam
Vor über 2000 Jahren, während der Dong Son Kultur, wussten die Vietnamesen bereits, wie man rohen Lack verarbeitet, um Gebrauchsgegenstände für den täglichen Bedarf herzustellen. Haushaltsgegenstände und Kultobjekte wurden zunehmend mit Bildern dekoriert und anschließend mit Lack überzogen. Solche Gegenstände fand man in alten Gräbern im Norden Vietnams. Bereits während der Ly Dynastie (11. Jahrhundert) oder sogar noch früher wurde Lack in großem Umfang zur Verzierung von Palästen, Gemeindesälen, Tempeln, Pagoden und Heiligtümern verwendet.
Eines der faszinierendsten Beispiele für die Verwendung von Lack sind die Lackgegenstände, die vor kurzem in Schiffswracks entdeckt wurden, die den adligen Nguyen aus dem Süden Vietnams gehörten. Die Gegenstände befanden sich in unversehrtem Zustand, obwohl sie länger als 100 Jahre im Salzwasser gelegen hatten.
Die Lackrezepturen und das Fachwissen über die Herstellungsprozesse wurden immer geheim gehalten und innerhalb der Kunsthandwerkerfamilien weitervererbt, die in der Gesellschaft, bei Adligen und Königen hohes Ansehen genossen. Mit dem immer höheren Entwicklungsstand dieses Handwerks ergab sich als nächster Schritt die Spezialisierung auf spezifische Aspekte bei der Produktion von Lackgegenständen – entweder im Bereich der verschiedenen Produktionsstufen oder der speziellen Anwendungen von Lack.
Diese Spezialisierung führte ihrerseits zur Gründung von Zünften. Eine Zunft zeichnete sich beispielsweise durch die Verarbeitung von Lack aus, eine andere wiederum durch das Vergolden oder die Herstellung von Zinnoberrot. Man tat sich zusammen, lebte zusammen und produzierte Lackwaren in einem eigenen Viertel längs einer bekannten Straße, die nach eben diesem Kunsthandwerk benannt war. Heutzutage wird diese traditionelle Art der Lackherstellung noch immer in vielen Straßen, Stadtvierteln und Dörfern fortgeführt.
Lack trifft auf zeitgenössische Kunst
Die traditionelle vietnamesische Kunst war stark von China beeinflusst. Die Gründung der Ecole des Beaux Arts de l`Indochine hat der Entwicklung einer neuen Art von Malerei einen starken Impuls gegeben. Dies wurde durch zwei französische Künstler – Victor Tardieu (1870–1937) und seinen Mitarbeiter Joseph Inguimberty (1896–1917) – gefördert, die beide Gründungsdirektoren der Schule waren. Sie unterrichteten die Studenten in westlicher Kunst, wobei sie aktuelle Techniken (wie Perspektive, Dreidimensionalität und visuelle Darstellung der Realität) mit einbezogen und diese mit traditionellen vietnamesischen Themen, Objekten, Motiven, Farben und Techniken kombinierten.
Es war in erster Linie Alix Ayme (1894 Marseille – 1989 Paris), die als Professorin an der Ecole des Beaux Arts in Hanoi viele Studenten ermutigt hat, das künstlerische Erbe zu erforschen und die Symbiose zwischen traditioneller Lacktechnik und Malerei voranzutreiben. Später, nachdem sie aus der japanischen Gefangenschaft nach Frankreich zurückgekehrt war, brachte sie Lack nach Europa; sie hat dieses Material in ihrer Arbeit ”Via Dolorosa” in Luc-sur-Mer in Calvados (Frankreich) sowie in vielen Ausstellungen in Florenz (1952) und in Monaco (1961) verwendet – ebenso auch (posthum) in Baltimore (2012).
Die Künstler Tran Van Can (1910–1995), Pham Hau (1903–1995) und Nguyen Gia Tri (1909–1993) waren Pioniere in der Entwicklung der Lacktechnik. Diese reichte von der einfachen Dekoration architektonischer Motive in Gemeinschaftshäusern und Tempeln über kunsthandwerkliche Gegenstände bis hin zu modernen künstlerischen Lackgemälden. Sie malten und betrieben Forschung aus Leidenschaft, indem sie ihr traditionelles Wissen über das Lackhandwerk einsetzten und dabei zugleich mit neuen Techniken experimentierten. Ihr Ziel war es, die Gesetze des Raumes und der Perspektive in Bezug auf Komposition, Formen und Gestalten anzuwenden und diese mit weiteren Kenntnissen im Bereich der Malerei, die sie aus dem Westen übernahmen, zu verbinden, wobei sie gleichzeitig jedoch den Charakter und die Eigenheiten der Lackkunst bewahren wollten.[1]
Die ersten Lackgemälde, die von vietnamesischen Künstlern geschaffen wurden, waren in ihrer Darstellung von Szenen natürlicher Schönheit noch ziemlich traditionell. Später wurden Lackgemälde als Werbung für sozialistische und kommunistische Werte angefertigt. Seit der Öffnung Vietnams in den 1980er und 90er Jahren erforschen junge Künstler diese alte Kunstform und lassen sie wieder neu entstehen, wobei sie sie in einen zeitgenössischen Kontext versetzen, um äußerst innovative und interessante Gemälde zu erschaffen.
Jeder Künstler hat verschiedene Arten, Lack in seinen Gemälden zu verwenden, und einige der Details sind nur dem Künstler selbst bekannt. Jedoch gibt es bei allen Lackgemälden einige gemeinsame Eigenschaften – beispielsweise den traditionellen Prozess, wie er weiter unten beschrieben wird.
Grundsätzlich umfassen Lackgemälde die traditionellen Farben (braun, schwarz, rot, gelb und weiß) und die Technik der eingefügten Eier- und Krabbenschalen sowie Schneckenhäuser. Zu den Neuerungen zählen Techniken der Farbmischung, die Zugabe von verschiedenen Grüntönen zur Erweiterung des Farbschemas, das Zeichnen von Formen und Figuren, die Verwendung von Schatten und Licht mit einer breiten Palette an unterschiedlichen Tönen sowie Verfahren der Anwendung von Bimsstein und des Polierens. Realistische Motive, die während der einzelnen historischen Epochen in so vielen Arbeiten dargestellt wurden, bestätigen auf überzeugende Weise den ausdrucksstarken und unerschöpflichen Reichtum der Lackkunst.
Eine andere Generation von Künstlern wie Nguyen Sang, Nguyen Tu Nghiem, Le Quoc Loc und Sy Ngoc hat dem Wert der vietnamesischen Lackkunst ihren Stempel aufgedrückt. Seit 1934 haben internationale Ausstellungen die Leistungen der Lackkunst als einen bedeutsamen Meilenstein innerhalb der bildenden Kunst Vietnams hervorgehoben.
[1] Eines der besten Bücher für die eingehende Beschäftigung mit dem Thema ist From Craft to Art – Vietnamese Lacquer Paintings von Shireen Naziree, 2013.
Technik
Die Anfertigung eines Lackgemäldes kann mehrere Monate in Anspruch nehmen; die Dauer hängt dabei von der jeweils angewendeten Technik sowie von der Anzahl der Lackschichten ab. In der vietnamesischen Lackmalerei sơn mài wird zuerst ein schwarzes Brett vorbereitet. Dann werden die Kreide-Umrisslinien in Weiß mit Eierschale und Klarlack hervorgehoben, später wird poliert. Anschließend wird die erste farbige Lackschicht aufgebracht; zumeist folgen darauf Blattsilber und eine weitere Schicht Klarlack. Dann werden mehrere Lackschichten unterschiedlicher Farbe mit einem Pinsel aufgetragen, dazwischen werden jeweils Schichten aus Klarlack eingefügt. In Vietnam kann ein Künstler zehn (und mehr) Schichten von farbigem Lack und Klarlack auftragen. In der chinesischen Ming Dynastie umfassten die Herstellungsprozesse bis zu 100 Schichten. Jede Schicht benötigt eine Trockenphase und erfordert eine Polierphase. Nachdem alle Schichten aufgebracht wurden, poliert der Künstler verschiedene Teile des Bildes, bis die gewünschten Farben zum Vorschein kommen. Feines Sandpapier und ein Gemisch aus Kohlepulver und menschlichem Haar wird verwendet, um durch vorsichtiges Vorgehen zur richtigen Schicht in der jeweiligen Farbe zu gelangen. Demnach ist der Begriff ”Lackmalerei” eine nur teilweise zutreffend, da die Farben nicht durch vorausgehendes Malen entstehen, sondern sich das gewünschte Bild erst beim Polieren der Lackschichten zeigt.
Die Herstellung von Lackgemälden
Eine Grundschicht aus farbigem Lack wird auf das Brett aufgetragen, und man lässt sie trocknen. Blattsilber wird auf dem Lack aufgebracht, anschließend wird zum Schutz Klarlack darüber aufgetragen. Neue Schichten aus farbigem Lack werden mit einem Pinsel aufgebracht, jede Schicht mit einer anderen Farbe. Auch hier wird dazwischen jedes Mal Klarlack aufgetragen. Manchmal trägt der Künstler bis zu zehn (oder mehr) Schichten aus farbigem Lack und Klarlack auf. Vor jedem neuen Lackauftrag muss das Bild trocknen, zudem werden die Schichten angeschliffen. Der wichtigste Teil des Herstellungsprozesses beginnt nach dem Auftragen der letzten Schicht. Der Künstler poliert verschiedene Teile des Bildes und reibt sie ab, bis er die für die jeweiligen Teile seines Bildes gewünschte(n) Farbe(n) erhält. Da sich die unterschiedlichen Farben in den übereinanderliegenden Schichten des Bildes befinden, muss der Künstler mit größter Vorsicht zu Werke gehen, wenn er das Bild mit feinem Sandpapier und einer Mischung aus Kohlepulver und menschlichem Haar bearbeitet. Er muss sich daran erinnern, in welcher Schicht sich welche Farbe befindet. Überdies muss er äußerst sorgfältig vorgehen und darf nicht zu fest reiben, da das Bild ansonsten unwiederbringlich ruiniert wird, wenn er durch eine Farbschicht, die er erhalten möchte, hindurchdringt. Eine spezielle Farbnuance kann durch sorgfältiges Reiben der Grenzfläche zwischen zwei Farbschichten erzielt werden.
Die Pflege von Lackgemälden
Lackgemälde sind sehr beständig. Da das Brett sehr hart und stark ist, kann es nicht leicht beschädigt werden. Die Oberfläche aus Klarlack schützt das Bild – es kann mit der Handfläche leicht poliert werden, um Staub zu entfernen und den Glanz zu erhöhen. Ein vietnamesisches Lackgemälde ist in der Tat ein Kunstgegenstand, der über Generationen hinweg Bestand haben kann.